1. Orthopädie & Unfallchirurgie
1.1 Einleitung
Die orthopädische Physiotherapie befasst sich mit der Behandlung von Erkrankungen, Verletzungen und Funktionsstörungen des Bewegungsapparates, einschließlich Knochen, Muskeln, Gelenken, Sehnen und Bändern. Ziel ist es, Schmerzen zu lindern, die Beweglichkeit zu verbessern und Funktionsfähigkeit wiederherzustellen oder zu erhalten.
1.2 Ursachen orthopädischer Beschwerden
- Degenerative Erkrankungen: Arthrose, Osteoporose, Bandscheibenvorfälle
- Traumatische Verletzungen**: Frakturen, Luxationen, Bänder- und Sehnenrisse
- Fehlhaltungen & Fehlbelastungen**: Skoliose, Hohlkreuz, Rundrücken
- Entzündliche Erkrankungen**: Rheumatoide Arthritis, Spondylitis ankylosans
- Sportverletzungen: Muskelzerrungen, Sehnenentzündungen, Meniskusschäden
1.3 Symptome & Auswirkungen
- Schmerzen (akut oder chronisch)
- Bewegungseinschränkungen
- Muskelverspannungen oder -atrophien
- Instabilitäten von Gelenken
- Fehlhaltungen und Schonhaltungen
1.4 Diagnostik & Physiotherapeutische Untersuchung
- Anamnese (Schmerzverlauf, Alltagseinschränkungen)
- Beweglichkeitsmessungen (z. B. Goniometer, Neutral-Null-Methode)
- Muskelkrafttests (z. B. MMT - Manual Muscle Testing)
- Gang- und Haltungsanalyse
- Palpation und Funktionsuntersuchungen
1.5 Physiotherapeutische Behandlungsmethoden
1.5.1 Manuelle Therapie
- Gelenkmobilisation zur Verbesserung der Beweglichkeit
- Traktionstechniken zur Druckentlastung
- Weichteiltechniken zur Lösung von Muskelverspannungen
1.5.2 Krankengymnastik (KG)
- Verbesserung der Muskelkraft und Gelenkstabilität
- Koordinations- und Gleichgewichtstraining
- Haltungsschulung und Bewegungsoptimierung
1.5.3 Faszientherapie
- Behandlung myofaszialer Schmerzsyndrome
- Techniken wie Myofasziale Release (MFR) oder Triggerpunktbehandlung
1.5.4 Gerätetraining & funktionelles Training
- Kräftigung abgeschwächter Muskelgruppen
- Verbesserung der Belastungstoleranz
- Einsatz von TheraBändern, Freihanteln und Balancekissen
1.5.5 Kinesiotaping & klassische Bandagen
- Unterstützung geschädigter Strukturen
- Verbesserung der Propriozeption
- Schmerzreduktion durch Haut- und Muskelstimulation
1.5.6 Wärme- & Kältetherapie
- Wärmetherapie (z. B. Fangopackungen, Rotlicht): Durchblutungsförderung, Muskelentspannung
- Kältetherapie (z. B. Eispackungen, Kryotherapie): Entzündungshemmend, schmerzlindernd
1.5.7 Elektro- & Ultraschalltherapie
- TENS (Transkutane elektrische Nervenstimulation): Schmerzreduktion durch Nervenstimulation
- EMS (Elektromyostimulation):** Muskelkräftigung bei Immobilisation
- Ultraschalltherapie:** Tiefenwärme zur Förderung von Heilungsprozessen
1.6 Rehabilitation nach Operationen & Verletzungen
- Knie- oder Hüftprothesen (TEP): Verbesserung der Gelenkbeweglichkeit, Gangtraining
- Kreuzbandriss (ACL-Ruptur): Stufenweise Belastungssteigerung, Muskelaufbau
- Bandscheibenoperationen: Stabilisierung der Wirbelsäule durch Rumpftraining
- Frakturen & Luxationen:** Schonende Mobilisierung und Belastungsaufbau
1.7 Wissenschaftliche Erkenntnisse & Trends
- Evidenzbasierte Physiotherapie: Kombination aus wissenschaftlicher Forschung und klinischer Erfahrung
- Moderne Schmerztherapie: Multimodale Ansätze zur Behandlung chronischer Schmerzen, Dryneedeling
2. Neurologie
2.1 Einführung
Die neurologische Physiotherapie konzentriert sich auf Patienten mit Erkrankungen des zentralen und peripheren Nervensystems. Ziel ist die Wiederherstellung von Bewegungsfunktionen, die Verbesserung der Muskelkontrolle und die Reduktion von Spastiken oder Lähmungen.
2.2 Propriozeptive Neuromuskuläre Fazilitation (PNF)
2.2.1 Grundlagen
PNF ist ein neurophysiologisches Behandlungskonzept, das durch gezielte Bewegungsmuster, Widerstände und sensorische Reize das Zusammenspiel zwischen Nerven und Muskeln verbessert. Es basiert auf der Annahme, dass bestimmte Bewegungsmuster und Widerstandsstrategien die neuronale Aktivität und damit die Muskelkontrolle fördern können.
2.2.2 Anwendungsgebiete
- Schlaganfall (Apoplex) mit Hemiparese
- Multiple Sklerose (MS)
- Morbus Parkinson
- Schädel-Hirn-Trauma
- Querschnittslähmung
2.2.3 Therapieansätze
- Wiederholte Bewegungsmuster zur Verbesserung der Muskelaktivität
- Stimulation durch Widerstände und manuelle Führung
- Förderung der Propriozeption durch gezielte Reize
- Einsatz von diagonalen Bewegungsmustern zur Steigerung der Funktionalität
- Rhythmische Stabilisation zur Verbesserung der Muskelkontrolle
2.3 Bobath-Konzept
2.3.1 Grundlagen
Das Bobath-Konzept basiert auf der Plastizität des Gehirns und zielt darauf ab, neue Bewegungsmuster zu erlernen und pathologische Bewegungen zu hemmen. Es ist ein interdisziplinärer Ansatz, der auf die individuelle Situation des Patienten eingeht und Bewegungen in den Alltag integriert.
2.3.2 Anwendungsgebiete
- Hemiparese nach Schlaganfall
- Spastische Lähmungen
- Bewegungsstörungen bei Kindern und Erwachsenen
2.3.3 Therapieansätze
- Alltagsnahe Bewegungsübungen zur Förderung der Selbstständigkeit
- Hemmung pathologischer Reflexe und Bewegungen
- Individuell angepasste Unterstützung zur Förderung der Eigenaktivität
- Langsame, gezielte Bewegungsführung zur Verbesserung der Motorik
- Berücksichtigung von Gleichgewicht, Rumpfstabilität und Gewichtsverlagerung
- Nutzung von Umweltanpassungen zur Unterstützung des motorischen Lernens
3. Sportphysiotherapie
3.1 Einleitung
Die Sportphysiotherapie beschäftigt sich mit der Prävention, Behandlung und Rehabilitation von Sportverletzungen. Sie richtet sich an Profisportler sowie Freizeitsportler und zielt darauf ab, die Leistungsfähigkeit zu optimieren und Verletzungen vorzubeugen.
3.2 Typische Sportverletzungen:
- Muskelzerrungen, Faserrisse
- Bänderdehnungen und -risse (z. B. Kreuzbandriss)
- Sehnenentzündungen (Tendinitis, Achillodynie)
- Ermüdungsbrüche (Stressfrakturen)
- Überlastungssyndrome (z. B. Läuferknie, Tennisellenbogen)
3.3 Behandlungsmethoden
- Funktionelles Training zur Stabilisierung und Kräftigung
- Kinesiotaping zur Unterstützung der Muskulatur
- Sportmassagen zur Regeneration
- Bewegungsanalysen zur Optimierung von Bewegungsmustern
- Rehabilitation nach Sportverletzungen zur schnellen Rückkehr in den Sport
4. Manuelle Therapie
4.1 Einführung
Die manuelle Therapie ist eine spezialisierte physiotherapeutische Behandlungsmethode zur Diagnostik und Behandlung von Funktionsstörungen des Bewegungsapparates. Sie basiert auf wissenschaftlich fundierten Techniken zur Linderung von Schmerzen, Wiederherstellung der Beweglichkeit und Verbesserung der Gelenkfunktion. Die Behandlung wird mit gezielten Handgriffen durchgeführt und ist individuell auf den Patienten abgestimmt.
4.2 Grundlagen und Prinzipien der Manuellen Therapie
Die manuelle Therapie beruht auf einem tiefgehenden Verständnis von Anatomie, Biomechanik und Neurophysiologie. Folgende Prinzipien stehen im Mittelpunkt:
- Gelenkmechanik verbessern → Durch gezielte Mobilisation werden Gelenkblockaden gelöst.
- Muskuläre Dysbalancen ausgleichen → Verspannte Muskeln werden gedehnt, geschwächte Muskeln gestärkt.
- Schmerzen reduzieren → Durch spezifische Techniken wird die Schmerzverarbeitung beeinflusst.
- Nervenmobilisation fördern → Verklebungen oder Engpässe von Nerven werden gelöst.
4.3 Indikationen – Wann wird manuelle Therapie eingesetzt?
Manuelle Therapie wird häufig bei folgenden Beschwerden angewandt:
4.3.1 Wirbelsäulenbeschwerden
- Bandscheibenvorfälle, Blockaden, ISG-Syndrom
- Chronische Rückenschmerzen, Skoliosen
4.3.2 Gelenkerkrankungen
- Arthrose (z. B. Kniearthrose, Hüftarthrose, Schulterarthrose)
- Instabilitäten nach Verletzungen oder Operationen
4.3.3 Muskuläre Dysbalancen & Verspannungen
- Myofasziale Schmerzen, Triggerpunkte
- Spannungskopfschmerzen, Migräne
4.3.4 Nervenkompressionen & -reizungeN
- Karpaltunnelsyndrom
- Ischialgien, Nervenwurzelreizungen
4.4 Untersuchung und Diagnostik in der Manuellen Therapie
Bevor eine Behandlung beginnt, führt der Therapeut eine umfassende Anamnese und körperliche Untersuchung durch:
4.4.1 Befunderhebung
- Schmerzlokalisation & Schmerzqualität
- Beweglichkeitstests (z. B. Neutral-Null-Methode)
- Muskelkrafttests (MMT - Manual Muscle Testing)
4.4.2 Palpation (Abtasten)
- Ertasten von Verspannungen, Verklebungen, Gelenkblockaden
4.4.3 Gelenkspiel-Analyse (Joint Play):
- Prüfung der Gelenkbeweglichkeit & Einschränkungen
4.5 Techniken der Manuellen Therapie
4.5.1 Gelenkmobilisation
- Langsame, rhythmische Bewegungen zur Lockerung von blockierten Gelenken
- Wird z. B. an der Wirbelsäule, Schulter, Hüfte oder den Knien angewendet
- Ziel: Verbesserung der Beweglichkeit & Schmerzlinderung
4.5.2 Traktion (Dekompressionstechniken)
- Gelenke werden durch leichten Zug entlastet
- Beispiel: Bei Bandscheibenvorfällen zur Druckminderung
- Effekt: Förderung der Nährstoffversorgung & Schmerzlinderung
4.5.3 Weichteiltechniken & Muskelenergietechniken
- Behandlung von verspannten Muskeln durch gezielte Dehnung oder Massage
- Aktivierung oder Entspannung der Muskulatur durch gezielte isometrische Anspannung
4.5.4 Manipulationstechniken („Chiropraktische Impulse“) – optional
Gelenkmobilisation
- Hochgeschwindigkeitsmobilisation mit geringer Amplitude
- Lösen von Blockaden durch gezielte „Impulse“ (oft mit hörbarem „Knacken“)
- Achtung: Diese Technik darf nur von spezialisierten Therapeuten ausgeführt werden!
4.5.5 Nervenmobilisation (Neurodynamik)
- Bewegungstechniken zur Förderung der Gleitfähigkeit von Nerven
- Beispiel: „Slump Test“ oder „Flossing“ bei Ischiasbeschwerden
4.6 Nervenmobilisation (Neurodynamik)
- Studien zeigen, dass manuelle Therapie in Kombination mit Bewegungstherapie effektiver ist als passive Maßnahmen allein.
- Besonders bei chronischen Rückenschmerzen oder Arthrose erzielt die Therapie gute Ergebnisse.
- Neurophysiologische Effekte: Durch Mobilisationstechniken werden schmerzlindernde Mechanismen im Nervensystem aktiviert.
4.7 Grenzen der Manuellen Therapie
Manuelle Therapie ist sehr effektiv, jedoch nicht immer ausreichend, z. B.:
- Bei strukturellen Schäden (z. B. schwerer Bandscheibenvorfall) → ggf. OP notwendig.
- Bei entzündlichen Erkrankungen (z. B. Rheuma in aktiver Phase) → Vorsicht geboten.
- Erfordert Eigenaktivität des Patienten → Übungen für langfristigen Erfolg essenziell.